Fritz Wunderlich - The Great German Tenor

"Amico Fritz"
Hermann Prey über Fritz Wunderlich


aus der Autobiographie "Premierenfieber", München 1981, S. 252-263

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Wir lernten uns im Juli 1959 bei den Proben zu Strauss' "Schweigsamer Frau" in Salzburg kennen. Fritz sang den lebenslustigen Neffen des alten Sir Morosus, der nur eine schweigsame Frau heiraten will und ähnlich wie Don Pasquale geprellt wird. In der Rolle des pfiffigen Barbiers nahm ich ja damals zum ersten Mal an den Festspielen teil. Fritz, 1930 in Kusel in der Pfalz geboren, und ich waren sozusagen gleich alt. Allerdings hatte er sich bereits ein Jahr zuvor die Sporen in Salzburg verdient; er war eingeführt, ich war ein Neuling. In der "Schweigsamen Frau" machen Neffe und Barbier gemeinsame Sache gegen den alten Onkel. Mit Wunderlich ließ sich herrlich konspirieren, das spürte ich von Anfang an. Er muß dasselbe von mir empfunden haben, wir faßten sogleich Sympathie zueinander. Damit begann eine Freundschaft, die sieben Jahre dauerte, bis zu Fritz' plötzlichem Tod im September 1966. Es waren beglückende Jahre der Zusammenarbeit mit einem mir nicht nur lieben, sondern außergewöhnlich begabten Kollegen, der sich in der kurzen Zeit von 1958 bis 1966 den Ruf eines der ersten Sänger seiner Zeit errang.

Als Tamino war er unvergleichlich; er sang seinen Don Ottavio mit einer Männlichkeit, die ich in der Darstellung dieser Rolle so oft vermisse, und einen traumhaft sicheren Belmonte mit der vertrackten Baumeister-Arie, wie ich sie nie mehr so gehört habe. Er war ein ergreifender Sohn Alfredo in "La Traviata", die wir zusammen mit Teresa Stratas als Kameliendame und der jungen Brigitte Fassbaender als Zofe Annina in einer Inszenierung von August Everding und in italienischer Sprache im März 1965 in München machten, übrigens Everdings erste Opernregie. Bei den leider viel zu wenigen Platteneinspielungen denke ich besonders gern an unseren "Wildschütz" von Lortzing zurück, der im Mai 1963 mit der ungemein charmanten Anneliese Rothenberger als Baronin Freimann und dem vor Temperament überschäumenden Fritz als Baron Kronthal aufgenommen wurde.

Fast hatte man den Eindruck, er wisse, daß seine Tage gezählt waren. Er lebte so sehr aus dem vollen, kostete jede Minute bis zur Neige aus. Wenn wir uns heute im Freundes- und Kollegenkreis treffen, vergeht keine halbe Stunde, ohne daß nicht einer von uns auf Fritz zu sprechen kommt.

Fritz ging leidenschaftlich gern auf die Jagd. Ich überhaupt nicht. Ich kann nicht auf Tiere schießen. Aber wie auch bei andern Gelegenheiten ließ ich mich, als wir einmal in Erding waren, von Fritz überreden, mitzukommen. Er hatte so eine zwingende Art, seine Hobbys anderen schmackhaft zu machen. Fritz hing sich drei Flinten verschiedenen Kalibers um, drückte mir eine vierte in die Hand und so zogen wir los, gingen mehrere Stunden bald nebeneinander, bald hintereinander durch den herbstlichen Laubwald. Obwohl ich dauernd vom Frühling singen muß, ist der Herbst meine bevorzugte Jahreszeit, ich liebe die würzige Luft, die roten und gelbbraun getönten Farben. Auch Fritz war bei ausgezeichneter Laune. Hätte er geahnt, daß wir im Laufe des Tages von Wild auch nicht die Spitze eines Geweihs sichten würden, wäre ihm der Spaß bald vergangen. Schließlich erreichten wir unseren Hochsitz, kletterten hinauf, nahmen unsere Plätze ein und warteten. Warteten. Warteten. Stunden vergingen. Kein Hälmchen regte sich.
"Da, nimm mal die Kitzpiepe", flüsterte Fritz. "Damit flötest du von Zeit zu Zeit. Wie Papageno in Sarastros unterirdischen Gewölben. Das lockt die Rehgeißen an." Ich kniff die Lippen um das Mundstück der Piepe und blies hinein. "Nicht so rasch hintereinander, du Traumtänzer!" fauchte Fritz. "In größeren Abständen. Wie ein Kitz, das nach seiner Mutter ruft." Also dehnte ich die Intervalle aus, ohne auch nur die geringste Wirkung zu erzielen. Ich langweilte mich zu Tode, mein Allerwertester war schon bald durchgesessen auf der harten Lattenbank. Plötzlich horchte Fritz auf, tippte mich kurz an, deutete auf eine dicke Buche. Dort war tatsächlich Bewegung entstanden. Jetzt lugte etwas hinter dem Baumstamm hervor. Fritz zielte, seine Büchse knallte. Ich sah gerade noch, wie ein Tier ins Dickicht tauchte und blitzschnell verschwand. "Eine Wildkatze, verdammt noch mal!" sagte Fritz. Gottlob hast du sie nicht getroffen, dachte ich. Fritz packte sein Waffenarsenal zusammen. "Ich stell uns ein paar Schießscheiben auf", erklärte er sauer. Es war bereits halb vier.
Trotz meiner Abneigung gegen weidmännische Vergnügungen bin ich im Umgang mit Waffen kein Anfänger. Bei den wöchentlichen Schießübungen im Kinderlandverschickungslager 1943/44 in Landsberg an der Warthe, wohin wir Berliner Schüler evakuiert worden waren, hatte ich es bei den obligatorischen Wehrertüchtigungsübungen sogar bis zum Scharfschützenabzeichen gebracht. Dem Wettkampf mit Freund Fritz sah ich zuversichtlich entgegen.
Wir waren von unserer Jagdkanzel hinuntergestiegen. "Sagen wir mal auf ca. hundertzwanzig Meter", schlug Fritz vor. Dann entnahm er seinem Rucksack eine Rolle Klebeband, ein Taschenmesser, eine zusammengefaltete Schützenscheibe. Zuletzt kam noch eine Schnellfeuerpistole zum Vorschein. "Die hab' ich erst vor ein paar Tagen erstanden. Die wollen wir ausprobieren", sagte er. "Da halt mal." Ich nahm die Pistole entgegen, meine Hand umspannte den Pistolengriff, wobei mein Zeigefinger automatisch zum Abzug glitt. "Warte du da. Ich kleb' uns erst die Scheibe auf.", meinte Fritz noch. Im selben Augenblick krachte es. Die Pistole war losgegangen.
Ich taumelte. Fritz, der Wald, die Pistole in meiner Hand, sie verschwammen vor meinen Augen, Nebelschwaden stiegen auf.

"Mein Sohn, was birgst du so bang dein Gesicht?"
"Siehst, Vater, du den Erlkönig nicht?
Den Erlenkönig mit Kron und Schweif?"
"Mein Sohn, es ist ein Nebelstreif..."


Ich hatte diese Ballade Goethes erst vor kurzem für die Schallplatte gesungen. Schuberts Melodie wollte mir nicht aus dem Kopf. Schon seit Tagen nicht. Das passiert mit von Zeit zu Zeit und ist etwas Fürchterliches. Dann haften die Töne im Hirn, sie kreisen und kreisen. Es hätte nicht viel gefehlt und ich wäre ohnmächtig geworden.
"Scheiße!" sagte Fritz. Inzwischen hatte ich mich wieder etwas gefaßt. "Bist du wahnsinnig?" schrie ich. "Drückst mir eine entsicherte Knarre in die Hand, so daß ich dich fast über den Haufen schieß!"
"Ein Versehen", beteuerte Fritz.
"Was heißt hier Versehen, du Hornochse! Ein gottverdammter Leichtsinn ist das!"
"Ist ja nix passiert."
"Nix passiert? Den Kopf hab ich dir um ein Haar abgeblasen. Das ist passiert!"
Ich mußte mich erst einmal setzen, das Gleichgewicht finden, meine Gedanken sammeln. Ich zitterte an allen Gliedern, sah mich zusammenbrechen, wie in der Oper als Onegin an der Leiche meines Freundes Lenski. Unser Familien- und Sängerglück - sie hatten an einem Faden gehangen. Ein, zwei Zentimeter nach links und das Unglück wäre geschehen. Ein Fressen für die Presse!
Vor mir sah ich die Schlagzeilen: "Sängermord im Erdinger Forst!" oder "Prey erschießt Wunderlich."
Dieses Erlebnis kommt mir seither oft in den Sinn, des Morgens, wenn ich im Halbschlaf vor mich hindämmere oder vor einem Konzert, in der Stille des Künstlerzimmers.

[...]

Ich kann keinen Papageno singen, ohne an Fritz zu denken. Wie aufregend war es, mit ihm auf Sarastros Burg zu eilen. Unsere Stimmen klangen besonders gut zusammen. Wir wollten uns sogar als Duo "verkaufen", für "Cosi fan tutte", "Don Giovanni", die "Zauberflöte", den "Barbier von Sevilla", "Traviata", "Eugen Onegin" und vieles mehr.

Fritz' Jugend war sehr hart. Er wollte mir stets seinen Heimatort Kusel im Pfälzer Bergland zwischen Trier und Kaiserslautern zeigen. Er sagte: "Du mußt mal gesehen haben, wo ich herkomme." Eines Tages begleitete ich ihn schließlich nach Hause. Er führte mich in ein winziges Bergarbeiterhäuschen, schob mich eine Trittleiter hinauf. Dort oben hatte er als Bub seine Kammer gehabt. Mauern ohne Verputz, zwei Holzbetten, dazwischen ein Tisch mit Wasserbecken und Blechkanne. (1) "Ich hab' nichts besessen außer einem zugelaufenen Kater", sagte er. "Jetzt weißt du, warum ich manchmal durchdreh'." Dann gingen wir zu einem Apfelbaum. "Was ist mit dem Apfelbaum?" wollte ich wissen. Fritz: "Den Kater haben sie umgebracht und ich hab' ihn hier beerdigt."

[...] (Prey schreibt über eine chaotische Woche voller Mißgeschicke, während der ihn eine böse Vorahnung belastet habe. Dann erhielt er die Nachricht von Wunderlichs Tod.)

Als einen Monat später unsere letzte gemeinsame Aufnahme "Eine Weihnachtsmusik" in den Handel kam, schrieb ich für die Hülle der Schallplatte:

"Mein Freund Fritz ist tot. Dieser Satz erscheint mir Tag für Tag unbegreiflicher. Unser freundschaftlich-künstlerisches Zusammenleben verschmolz in den letzten Jahren zu einer seltenen Synthese. Wir haben gemeinsam unzählige lustige Abenteuer und viele besinnliche Stunden verlebt. Er konnte nächtelang über die Probleme des Lebens und über Musik diskutieren. Wenn ich mit ihm auf der Bühne oder vor dem Mikrofon stand, so waren das die schönsten Stunden meiner Sängerlaufbahn. Nie haben wir eine Phrasierung oder die Färbung bestimmter Passagen angesprochen - unser Zusammenklang war einfach da. Oft haben wir stundenlang vierhändig Klavier gespielt oder sind zusammen durch die Wälder gestreift und haben unsere Pläne geschmiedet.

Als wir 1959 in Salzburg zum erstenmal bei den Proben zu 'Die schweigsame Frau' gemeinsam auf der Bühne standen, wußten wir, von nun an werden unsere Wege zusammenlaufen. Wir haben in diesen kurzen Jahren gelernt, uns zu ergänzen. Er verstand unheimlich viel vom Singen. Ich habe viel von ihm gelernt. Dieser Göttersohn mit seiner immensen musikalischen Naturbegabung war erst am Anfang seines kometenhaften Aufstiegs. Was hätte er uns in der Zukunft noch geben können? - Grillparzer sagte am Grabe Schuberts: 'Der Tod begrub hier einen reichen Besitz, aber noch schönere Hoffnungen.' Wie sehr trifft dieser Satz auch für Fritz zu. Er sagte bei unserem letzten Zusammensein zu mir: 'Die besten Jahre kommen noch, der Sänger bekommt die Träne erst mit vierzig.'. Er wußte nicht, daß er sie schon hatte.
Wir hatten wahrhaft himmelstürmende Ziele. Wir wollten die Dioskuren des Gesangs werden. Das Schicksal hat es anders bestimmt. Ich sollte als verlassener Zwilling zurückbleiben. - Diese Platte, unsere letze, haben wir so quasi improvisiert zusammen mit Fritz Neumeyer und seinen Musikern. Wenn ich sie heute höre, kann ich stellenweise nicht mehr genau sagen, wer eigentlich was im Augenblick singt. Unsere Stimmen verschmolzen zu einer. - Die Welt trauert um einen begnadeten Sänger dieser Generation. Ich um einen Freund und Bruder im Gesang, wie ich ihn nie wieder finden werde."


(1) Wunderlichs Schwester Marianne Decker schreibt in Ihren Erinnerungen "Mein Bruder und ich" unter Bezugnahme auf diesen Absatz, daß Hermann Prey sicherlich niemals zu Fritz Wunderlichs Lebzeiten in Kusel war. Ihr Haus sei - den zeitlichen Umständen der Nachkriegsjahre entsprechend - stets in Ordnung gewesen und habe in keinster Weise der Beschreibung Preys entsprochen. (AP)
© by Kindler Verlag GmbH 1981. Der im Buch nur teilweise zitierte Cover-Text der LP "Eine Weihnachtsmusik" wurde vervollständigt.

Andreas Praefcke

Fritz Wunderlich Homepage